METHODIK
Der Schweizer Ernährungsatlas verfolgt einen konsumorientierten Ansatz, um zu schätzen, was und welche Mengen die Bevölkerung verzehrt. Dieser Verbrauch wird basierend auf Einkaufsdaten von Haushalten geschätzt. Die Methodik des Schweizer Ernährungsatlas ist so konzipiert, dass sie vollständig transparent und replizierbar ist und in den Folgejahren sowohl durch das IRM-HSG als auch von anderen Forschungsstellen erhoben und mit der Ersterhebung verglichen werden kann.
Datenerhebung Einkaufsdaten
Screening-Fragebogen
Anhand eines Screening-Fragebogens fand die zufällige Auswahl von Haushalten aus den drei grössten Sprachregionen der Schweiz statt. Neben demografischen Eigenschaften der Haushalte wurde auch gefragt, von welchen im Haushalt lebenden Personen welche Einkaufsdaten geliefert werden können. Basierend auf Einkaufs- und Konsumationshäufigkeiten konnte eine erwartete Anzahl an Kassenbons errechnet werden.
Upload der Kassenbons
Über einen Zeitraum von zwei Wochen (21. Februar 2022 bis 6. März 2022) fotografierten die Haushalte ihre Kassenbons und luden sie über ein Onlineportal hoch. Pro Kassenbon mussten die Haushalte mithilfe eines Konstantsummenverfahrens angeben, welchen Anteil des Kassenbons (1) die ausfüllende Person, (2) andere Personen im Haushalt (in einem zweiten Schritt noch einmal aufgeteilt auf die Anzahl Personen) und (3) andere Personen ausserhalb des Haushaltes konsumiert haben bzw. konsumieren werden.
Abschlussfragebogen
Der Abschlussfragebogen umfasste drei Teile. Im ersten Teil wurden die Kassenbon-Uploads evaluiert. Der zweite Teil bestand aus der Abfrage ernährungsbezogener Daten (z. B. wie wichtig den Personen die Ernährung ist oder was gesunde Ernährung für die Personen bedeutet). Im dritten und letzten Teil wurden zusätzliche demografische Daten der Personen in den Haushalten erhoben (z. B. Lebensmittelintoleranzen, sportliche Aktivität, Gewicht und Grösse usw.).
Erhebung Nährwertdaten
Näherwertdaten von Detailhändlern
Die Kassenbonabkürzungen wurden an die jeweiligen Detailhändler versendet, mit der Bitte, uns die Nährwertdeklaration und Inhaltsstoffe sowie relevante Stammdaten (z. B. Nettogewicht) der entsprechenden Produkte zu liefern. Dieser Aufforderung kamen drei Detailhändler nach.
Nährwertdatenbanken
Da von den Detailhändlern nicht allen Produkten Nährwertdaten zugeordnet werden konnten, wurden weitere Datenbanken und Datenquellen verwendet:
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Nicht öffentliche Datenbank der ETH Zürich mit rund 50'000 Lebensmittelprodukten;
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Schweizer Nährwertdatenbank;
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Produktinformationen von Herstellern und Händlern direkt (z. B. Webseite oder über Anfragen von Xyxle);
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Datenbanken aus anderen Ländern (z. B. «WebAppendix» von Louie et al. (2015), USDA)
Modellierung des Konsums
Nach der Verknüpfung der Nährwerte pro 100 Gramm oder 100 Milliliter und der Berechnung des freien und zugesetzten Zuckers pro 100 Gramm oder pro 100 Milliliter wird der effektive Konsum modelliert. Dazu wird für jede Artikelposition der Kassenbons der totale Gehalt der Nährwerte sowie der des freien und zugesetzten Zuckers berechnet:
Anschliessend folgt die Verteilung der Nährwerte je Artikelposition mit den Werten der Konstantsummenschätzung auf die einzelnen Personen des Haushalts.
Auf dieser Grundlage wird der Konsum pro Person modelliert. Dabei ist zu beachten, dass die Summe aller Artikelpositionen pro Person nicht dem tatsächlichen Konsum entspricht. Eine einfache Summierung der Werte spiegelt lediglich die Summe der gekauften und zugesandten Produkte wider. Um den tatsächlichen Konsum zu approximieren, wird die Summe der «gekauften und zugesandten» Nährwerte pro Person um folgende vier Faktoren korrigiert:
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Korrektur um den Anteil der Lebensmittel, für die keine Nährwerte berechnet werden konnten;
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Korrektur um den Anteil der Lebensmittel, für die keine Totalmenge an Nährwerten berechnet werden konnte;
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Korrektur um den Anteil der Lebensmittel, für die keine Kassenbons eingesandt wurden;
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Korrektur um die erwartete Lebensmittelverschwendung.
Datenbereinigung
Zur Bereinigung der Daten wurden folgende Schritte auf Haushalts- oder Individualstufe vorgenommen:
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Zwei Personen wurden aufgrund unplausibler Gewichtsangaben (über 18 Jahre alt, aber unter 30 Kilogramm) aus der Stichprobe entfernt.
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28 Personen wurden aus der Stichprobe entfernt, da diese Personen gemäss der Modellierung keine Kilokalorien konsumiert haben.
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361 Personen wurden aus der Stichprobe entfernt, da für diese Personen angegeben wurde, dass lediglich Kassenbons von Person 1 des Haushalts (Person des Haushalts, welche über das Panel rekrutiert wurde) geliefert werden können.
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Die finale Stichprobe besteht aus 456 Personen aus 371 Haushalten.
Der Schweizer Ernährungsatlas verwendet Einkaufsdaten anstatt Konsumdaten als Datengrundlage. Dies führt in der Stichprobe zu einer grossen Streuung der modellierten Konsumdaten, weil natürlicherweise Haushalte in der Stichprobe enthalten sind, welche deutlich mehr gekauft haben, als sie in den zwei Wochen konsumieren. Gleichzeitig enthält die Stichprobe aber auch Haushalte, welche deutlich weniger gekauft haben, als sie in den zwei Wochen konsumiert haben, da noch gewisse Vorräte im Haushalt vorhanden sind. Diese grosse Varianz in den Daten hat unterschiedliche Auswirkungen auf unsere Analysen. Während sich die Stichprobe beispielsweise gut für Mittelwertanalysen eignet, ist sie ohne weitere Bereinigungen nicht geeignet, um Rückschlüsse auf Extremwerte oder einzelne Individuen zu ziehen, da diese durch über- und unterdurchschnittliche Einkaufsvolumina verzerrt sind. Für Analysen, die über Mittelwertvergleiche hinausgehen, ist es zwingend notwendig, weitere Datenbereinigungen vorzunehmen.
In einem ersten Schritt gilt es die tägliche Energieaufnahme zu bereinigen. Unter der Annahme eines gewichtsstabilen Zustand, entspricht eine plausible tägliche Energieaufnahme dem täglichen Energieverbrauch. Der tägliche Energieverbrauch ergibt sich aus dem Grundumsatz, multipliziert mit einem Aktivitätsfaktor (UNU et al., 2004). Der Grundumsatz wird vor allem durch Geschlecht, Körpergrösse, Körperbau und Alter bestimmt (UNU et al., 2004). Der Aktivitätsfaktor bei Büroarbeit liegt beispielsweise zwischen 1.40 und 1.69 (UNU et al., 2004). Zur Bereinigung der täglichen Energieaufnahme unseres Datensatzes empfehlen wir eine Untergrenze beim Grundumsatz (Aktivitätsfaktor = 1.00) und eine obere Grenze bei einem Aktivitätsfaktor von 2.40 zu setzten. Ein Aktivitätsniveau, das einem Faktor grösser 2.40 entspricht ist für einen durchschnittlichen Menschen schwierig aufrecht zu erhalten (UNU et al., 2004).
In einem zweiten Schritt gilt es eine Plausibilisierung von gewissen Makronährstoffen vorzunehmen. Die Einnahme von Makronährstoffen unterscheidet sich für Menschen basierend auf Alter, Ernährungsgewohnheiten und Körpergewicht. Die empfohlene tägliche Eiweisszufuhr einer gesunden erwachsenen Person unter 65 Jahren liegt bei 0.83 Gramm pro Kilo Körpgergewicht pro Tag (BLV, 2022a). Grundsätzlich spricht man bei einem Eiweissanteil an der Energiezufuhr von über 20% von einer High-Protein Diät. Die Aufnahme von Fett, Kohlenhydraten und Salz kann nicht mir einer Formel plausibilisiert werden. Eine Ernährungsweise, in der Fette über 50% an der täglichen Energieaufnahme ausmachen erschient unseres erachtens als zu hoch, da diese deutlich über den empfohlenen Richtwerten (BLV, 2022a) liegt. Bei Kohlenhydraten ist unserer Meinung eine plausible Bandbreite zwischen 10% und 70% an der täglichen Energieaufnahme. Eine Person, die sich strikt nach einer Low-Carb Diät ernährt kann durchaus einen tiefen Anteil von 10% haben, während 60% die obere Grenze der emfphlenen Tagesmenge eines gesunden Erwachsenen (BLV, 2022a) darstellt. Salz wiederum kann nicht in Relation zur täglichen Energieaufnahme plausibilisiert werden. Hier empfehlen wir eine Obergrenze von 30 Gramm pro Tag festzulegen. Tödlich wird ein Salzkonsum ab einer Menge von 0.5 – 1.0 Gramm pro Kilo Körpergewicht (Strazzullo & Leclercq, 2014).